Vor vier Jahren war ich bei einer Medizinproduktefirma, der Tochtergesellschaft einer deutschen Gruppe, zu einer Präsentation eingeladen. Supply Chain, Einkauf, Produktion, Qualität waren im Raum. Sie wollten mehr wissen, weil sie unter langen Vorlaufzeiten, zu hohen Beständen, einem unbefriedigenden Servicegrad und vielen Notfällen litten.
Das Unternehmen hatte mit mehreren Projekten versucht, die Situation zu verbessern und dabei einige Supply Chain Manager verbraucht. Eines der gerade wichtigsten Projekte – „TCO“ – drehte sich um die Verbesserung der „Total cost of ownership“, der Gesamtbetriebskosten. Hier schien es sich für mich um eine positive Initiative zu halten: Dieses Unternehmen bezog viele in Europa vertriebene Produkte aus Asien und die Berücksichtigung der tatsächlichen Gesamtkosten bei den Beschaffungsentscheidungen konnte nur eine gute Sache sein.
Meine Präsentation wurde wohlwollend aufgenommen, bis ich mich von meiner Begeisterung überwältigen ließ und Wilsons Formel, mit der man seit Jahren wirtschaftliche Losgrößen berechnete (erinnern Sie sich?), entzauberte.
Während ich darauf beharrte, dass diese Formel in der Branche großen Schaden angerichtet hatte, fühlte ich ein wachsendes Unbehagen bei meinem Publikum.
Nach einigen peinlichen Diskussionsversuchen stellte sich heraus, dass das berühmte Projekt „Gesamtbetriebskosten“ hauptsächlich darin bestand, die Bestellmengen im Einkauf zu erhöhen, um so die Belastung der Qualitätskontrolle im Wareneingang zu verringern. In der Tat handelt es sich bei der Eingangskontrolle in der Pharma– oder in Medizinproduktebranche um einen entscheidenden Arbeitsschritt, der eine perfekte Rückverfolgbarkeit der Chargen erfordert, und dies kann ein aufwendiger Vorgang sein.
Nach einer Kartierung der Flüsse hatte das Team festgestellt, dass an ihrem Standort die meiste Zeit auf die Warteschlange vor der Eingangskontrolle entfiel. Soweit ich mich erinnere, lag der Durchschnitt bei mehr als zwei Wochen.
Welche Schlussfolgerung hatten sie daraus gezogen? Um die lokale Durchlaufzeit zu verkürzen und die Kosten zu senken, muss die Zahl der Chargen in der Eingangskontrolle gesenkt werden. Dafür müssen wiederum die Bestellmengen deutlich erhöht werden, in dem die Kosten der Eingangskontrolle in der Formel nach Wilson berücksichtigt werden. Weiterhin würde ihnen dies erlauben, opportunitätsgetrieben bei wechselnden Lieferanten zu beschaffen.
Ok, Sie sehen es kommen, auf diese Weise werden der Fluss gestört und die tatsächlichen Gesamtbeschaffungskosten erhöht.
Wir haben uns nach meinem Vortrag in aller Freundschaft getrennt und sie haben mich nicht zurückgerufen… Wie ich höre, sind sie heute wieder dabei, sich mit DDMRP zu befassen, vielleicht hat das TCO-Projekt ja nicht die erwarteten Ergebnisse eingebracht.
Hätte es Lösungen gegeben, um die begrenzte Kapazität bei dieser Eingangskontrolle besser auszunutzen? Sie lief vollständig manuell ab, ohne elektronische Chargenakte, den Teams mangelte an vielseitiger Qualifikation, einige Messmittel waren ausgelastet und die wechselnden Lieferanten unterlagen keiner Qualitätssicherung, was die Kontrollen erschwerte. Mit Sicherheit zahlreiche Verbesserungsansätze...
Kehren wir zurück in die Gegenwart. Wir haben gerade einen jungen Supply–Chain–Management-Studenten in unser Team aufgenommen. Als ich ihm am Freitag erklärte, dass Wilsons Formel zu verbannen sei, machte er große Augen: Seit Jahren sei ihm diese Formel beigebracht worden, um die wirtschaftlichen Losgrößen zu bestimmen, es war sogar das Lieblingsthema eines seiner Professoren!
Im Jahr 2020 der jungen Generation Wilsons Formel beizubringen, ist ein Verbrechen gegen den Fluss der kommenden Jahre, oder?
Nun, sagen Sie mir, warum so viel Hass auf Wilsons Formel? Immerhin sieht sie wissenschaftlich aus, oder? Es gibt eine Quadratwurzel!
Wilsons Formel ist ein schönes Beispiel für eine präzise Formel. Wir teilen einen Zähler durch einen Nenner und ziehen die Quadratwurzel. Im Jahr 1934 hat Wilson ein Formel verbreitet, die bereits 1913 von Harris veröffentlicht wurde. Sie definierte das Gesamtkostenoptimum zwischen den Kosten der Bestandsführung und der Auftragserteilung. Dem lässt sich nicht widersprechen.
Ah, ein paar kleine Details:
Wie berechnen wir die Kosten des Bestandsführung? Wie hoch sind die Kosten, um Bestände zu führen? Wie hoch sind die tatsächlichen Kosten des in diesem Bestand gebundenen Kapitals? Wie hoch sind die Kosten für Nichtqualität, Lagerung, Obsoleszenz? Wie hoch sind die Kosten von Überbeständen? Wie hoch sind die Fehlmengenkosten? Wie hoch sind die Kosten entgangener Umsätze? Wie lassen sich diese Kosten berechnen, ohne einfach variable und Fixkosten zu vermischen?
Und was sind die Auftragserteilungskosten? Ich kannte Firmen, die die folgende Berechnung anstellten: Ich habe vier Einkäufer, jeder arbeitet 1.600 Stunden im Jahr, sie bearbeiten 10.000 Bestellungen pro Jahr, also habe ich 0,64 Stunden Kosten pro Auftragszeile eines Einkäufers. Hm…, wenn ich 1.000 Bestellungen weniger abwickle, werde ich dann 640 Stunden sparen?
Kurz gesagt: Wilsons bzw. Harris‘ Formel wendet eine Quadratwurzel auf das Verhältnis zweier willkürlicher Schätzungen an. Das ist ein gutes Beispiel für eine genaue, aber sehr falsche Berechnung, oder?
Diese Argumentation von 1913 ist eindeutig nicht mehr anwendbar, wenn sie es überhaupt jemals war. Um es klar zu sagen, diese Formel hat die Mehrheit der Unternehmen dazu gebracht, ihren Fluss zu stören, während es das Kerngeschäft eines Unternehmens darin besteht, einen schnellen und zuverlässigen Fluss von Gütern zu erzeugen, die er den Erwartungen der Kunden entsprechen!
Es geht nicht darum, echte Zwänge zu ignorieren, die zu Kosten führen. Dies ist oft ein Problem beim Einsatz von Lean: Ein „One-Piece-Flow“ oder „Mitarbeitergebundener Arbeitsfluss“, mit einer Losgröße eins, ist in vielen Fällen nicht realistisch.
Ein Lkw oder Container hat bestimmte Kosten und einen ökologischen Fußabdruck. Rüstvorgänge auf ausgelasteten Anlagen sind teuer. Die Materialverluste, die beim Reinigen zwischen zwei Produkten in der Prozessindustrie entstehen, haben ihre Kosten.
Auch wenn wir die Flexibilität unserer Arbeitsmittel mit SMED-Ansätzen und technologischen Entwicklungen verbessern können, dürfen wir diese Kosten nicht ignorieren, und wir müssen sie beim Entwurf unseres Modells berücksichtigen.
Das Demand–Driven-Modell bietet uns wertvolle Unterstützung, um die Frage der Losgrößen zu beantworten und diese mit einem schnellen und zuverlässigen Materialfluss in Einklang zu bringen:
Gemeinsame Sichtbarkeit
- Die Losgrößen gelagerter Positionen werden durch die grünen Zonen der Puffer dargestellt. Man erkennt sofort, wenn diese grünen Zonen in keinem Verhältnis zu den roten und gelben Zonen stehen. Wenn Ihre Einkäufer, Produzenten, Supply Chain, technischen Teams, Marketing in DDMRP geschult wurden, teilen alle das gleiche Verständnis und auch die Auswirkungen der grünen Zonen. Es wird einfacher, die Sichtweisen aller abzugleichen.
Wirtschaftliche Auswirkungen
- Die Auswirkungen der grünen Zone auf die Bestandswerte lassen sich leicht als Investitionssumme ausdrücken. Das Funktionsmodell kann mit verschiedenen Losgrößen simuliert werden, und die Auswirkungen auf Bestände, Servicegrad, Durchlaufzeiten oder die Anzahl der Rüstvorgänge sind leicht zu bewerten.
Pragmatische Losgrößen
- Die Verwendung von Bestellzyklen (Intervall in Tagen zwischen den einzelnen Losen) oder eines Durchlaufzeitfaktors (ein Prozentsatz, der der Festlegung einer angemessenen Losgröße in Bezug auf eine kurze, mittlere oder lange Durchlaufzeit dient) ermöglicht es, ein Modell zu bestimmen, das mit den bestehenden Einschränkungen vereinbar ist.
Gruppierte Planung
- die Bestands- und Zeitpuffer des DDMRP erlauben eine einfache Bündelung der Planung: Fertigungsaufträge oder Bestellungen, die sich kostengünstiger aneinanderreihen können, werden zusammengelegt, wobei die Kundenprioritäten in Echtzeit berücksichtigt werden. Dies ist ein sehr effektives Mittel, um die Losgrößen auf Artikelebene zu reduzieren, ohne die Kosten zu verschlechtern. Während der Definition dieser Regeln bei der Konzeption des Betriebsmodells stellen sich die richtigen Fragen und aus den Köpfen der für den Betrieb Verantwortlichen oder aus den unzähligen Excel-Dateien wird die passende, dem Fluss angemessene Logik extrahiert.
Kontinuierliche Verbesserung
- Die Leistung des Demand–Driven–Modells wird ständig überwacht, Verbesserungsansätze hervorgehoben, und die Teams dazu angehalten, das Modell ständig zu verbessern.
Was ist am Ende eine wirtschaftliche Losgröße? Ein Los, das einen schnellen Fluss ermöglicht, das mit unserer aktuellen Kapazität vereinbar ist, das unsere Beschränkungen auf pragmatische Weise berücksichtigt und an dessen Reduzierung wir ständig arbeiten. Es lässt sich nicht in einer Formel mit einer Quadratwurzel abbilden, aber es erfordert das Wissen und die Intelligenz unserer Teams!